Ein gewisser Herr Frodeno sagte mal: „Lanzarote muss man einmal überlebt haben.“ Das dachte ich letztes Jahr auch und habe mich für den IM angemeldet – würde ich meinen persönlichen „Triathlon-Endgegner“ überleben?

Am 20. Mai ging es los. Der Tag hat noch in der Nacht, um 4:30h, angefangen. Auf dem Weg zur Wettkampfstätte sah man andere AthletInnen mit dazugehörigen Anhang, Alle mit dem Gesicht des Respekts vor der Insel und vielleicht auch einer kurzen Nacht. Kurz vor dem Start sagen die "Anheizer" am Mikrophon IN DER DAUERSCHLEIFE "you're about to start the hardest irooonmaaan in the wooorld", das gibt einem ein, sagen wir, unglaubliches Gefühl der Bescheidenheit und der Demut zugleich... Ein Massenstart bei einer LD ist heutzutage nicht mehr ganz normal. Umso beeindruckender war der Anblick, wenn sich vor Dir (also vor mir hehe) etwa 2000 Athleten ins Wasser, in die "Waschmaschine", stürzen!

Dieser Wettkampf stand für mich unter dem Motto „Sehr langsam ist nicht ruhig genug“ und so bin ich die Sache auch angegangen: ruhig, um so viel Kraft zu sparen wie es nur geht. Der Schwimmpart lief für meine Verhältnisse normal, es waren zwei Runden à 1900m. Da ich hinten gestartet bin, gab es für mich wenig bis gar keine Prügelei. Das Wasser war glasklar und teils so flach, dass man den "Meeresgrund" sehen konnte. Eine sehr nette Abwechslung, wenn man Fischschwärme und Felsen unter sich sehen kann. Am Ende hatte ich bei meiner "Chill Out-Geschwindigkeit" erstaunliche 1:29h und war damit sehr zufrieden! Den ersten Wechsel habe ich auch sehr ruhig angehen lassen: Hauptsache Körner sparen!

Der Fahrradpart startete eher ungemütlich, ich weiß nicht wieso aber ich hatte einen krassen Hustenanfall, den ich nicht loswerden konnte. Nach einer Zeit war es zum Glück vorbei ABER wenn man in den ersten 25km, aufgrund von Hurricane und Anstieg, kaum über 20km/h kommt, dann weiß man auf welcher Insel man ist!! Zunächst fährt man durch den Nationalpark. Eine unglaubliche Vulkan-Lava-Landschaft: links und rechts, weit und breit, keine Zivilisation und keine Vegetation, keine Geräusche, nur du, der Wind, die brutale Hitze, die anderen TeilnehmerInnen und die Steine: "Me, myself and I"... Nach einer langen Strecke durch die wunderschönen weißen Dörfer Lanzarotes und mehrere überschaubare An- und Abstiege bis etwa km 85 war das "warm up" für die Bikestrecke abgeschlossen.

Der "Hauptgang" begann ab etwa km 90.... laaaange, laange Anstiege bei starken Windböen, die, gefühlt, aus allen möglichen Himmelsrichtungen kamen und die mittägliche Hitze dazu... man man... das sind die Momente, in denen man sich fragt, was zum Teufel man da gerade macht... warum nur??? Der Anstieg bis zum Mirador del Rio hat mir jegliche Biker-Würde genommen... man knetet gefühlte Jahre lang bei 8 - 10 km/h und sieht einfach nicht das Ende... doch kurz vor dem Gipfel sieht man urplötzlich auf der linken Seite die kleinere Nebeninsel Lanzarotes, La Graciosa, aus etwa 600m Höhe, das ist der atemberaubende Ausblick, der Dich all Deine Schmerzen vergessen lässt, eine wunderbare Belohnung für die Quälerei bis zu dem Punkt! Ab da begann DIE Abfahrt meines Lebens: etwa 10km bei durchschnittlichen 60km/h! Ein Adrenalinschub, den ich selten erlebt habe... man ist einfach nur froh, sich ausruhen zu können und gleichzeitig viele km in sehr kurzer Zeit abzureißen!

Etwa bei km 137 kam ich dann zum absoluten Höhepunkt des Tages: Kette ab. Als ich nach unten geguckt habe waren beide vorderen Kettenblätter auseinandergeschraubt und nach vorne gefallen. Sie wurden nur noch vor einer (von fünf) lockeren Schraube zusammengehalten... VIER VON FÜNF Schrauben sind schlicht und ergreifend - wieso auch immer – abgefallen! Das ist so ein Moment, in dem man nicht weiß, ob man weinen oder lachen soll... man fährt jahrelang, Tausende von km mit dem Bike und just beim IM Lanzarote zerlegt es sich nach allen Regeln der Kunst... zum Glück stand, an dem Punkt wo ich anhalten musste, ein Orga-Arzt-Wagen. Die haben dann freundlicherweise den Bike Aid-Wagen kontaktiert! Es dauerte etwa 20min bis sie vorbeikamen. 20min in denen man die anderen Athleten vorbeifahren und die Uhr runterzählen sieht, irgendwo in der Steinwüste ohne Schatten und bei brutaler Hitze. 20min ohne zu wissen, ob es für mein Problem überhaupt eine Ad Hoc-Lösung gibt. Da überlegt man sich wie man da vorgeht, wenn es keine gibt: bis zur T2 schieben?? Eine eher illusorische Taktik... Aufgeben?? Das wäre ja die Überschei..... als der Bike Aid-Wagen endlich ankam waren da zwei überaus nette Typen, die beim ersten Blick der Meinung waren, dass sie für mich nichts tun könnten, weil sie die Schrauben dafür nicht hätten... das war dann die Super-GAU-Message, die ich nicht hören wollte. Beim zweiten Blick dann hat einer eine super McGyver-Idee gehabt, die mir das Leben gerettet hat: kürzere aber ebenso breite Schrauben nehmen und diese dann mit Kabelbinder festmachen, eine unglaubliche Lösung, die ich einfach nicht fassen konnte hahaha. Ich konnte tatsächlich nach einer guten halben Stunde weiterfahren und mich in die T2 retten.

Der Marathon startete, wie immer bei mir, seeeehr gemütlich, also etwa im GA 0,1-Bereich. Warum? Ich war total fertig! Ich habe mich dann bis etwa km 15 von VP zu VP geschleppt.

Das Allerschlimmste beim Marathon auf Lanzarote sind nicht die glühende Hitze, nicht der kaum vorhandene Schatten und auch nicht die kleinen Auf- und Abstiege, sondern, dass man etwa an 3 Mio. Bars und Restaurants vorbeilaufen muss, wo es nur nach Paella, Steaks und Burger (habe ich was vergessen?) riecht und wo Alle mit Wein, Bier, Cocktails (habe ich schon wieder was vergessen?) in der Hand sitzen. Nach 10 Stunden mit Gels und Powerbars ist es genau das, was ich nicht riechen oder sehen will. Am liebsten hätte ich an jeder Kneipe angehalten und irgendwo was abgebissen!

Von km 15 bis 30 war ich weder körperlich noch geistig anwesend, mein PC hat sich selbst heruntergefahren. Das Einzige woran ich mich recht erinnern kann ist, dass ich nur noch gegangen bin und die Flugzeuge, die etwa 100m neben dir starten oder auch 50m über deine Birne zur Landung ansetzen. Allein das ist für mich schon ein absoluter Grund, um auf Lanzarote zu starten. Ab km 30 ging die Sonne unter und es wurde schlagartig kühler. Da bin ich dann wie Phoenix aus der Asche wieder auferstanden. Ich habe mein Herz in die Hand genommen und mir gesagt, dass ich, komme was wolle, die letzten 12km durchlaufen würde. Ich habe es in einer Art des sehr schmerzhaften Trancezustandes durchgezogen. Das Rennen war - mit großem Abstand - die härteste Schose, die ich jemals gemacht habe. Lanzarote ist wirklich nichts für schwache Nerven. Eine wunderschöne Strecke, die mir das Allerletzte abverlangt hat. Schließlich konnte ich nach 15:04:53h, schon in tiefster Dunkelheit, die Ziellinie überqueren.

Ich hatte meinen persönlichen "Triathlon-Endgegner" überlebt.