Vom Versuch, als 50-jähriger auf der Langdistanz doch noch unter elf Stunden zu bleiben
Da war einfach noch eine Rechnung offen in Roth. 11:01 und sechs Sekunden war 2015 zwar richtig gut für mich, fast eine halbe Stunde schneller als bei meinem ersten Start fünf Jahre vorher. Aber es war eben so nah an den elf Stunden war, für einen Hobbystarter mit beschränktem Zeit- und Geldbudget wie mich eine ähnliche Traumgrenze wie die drei Stunden beim Marathon. Da hatte ich es immer im Kopf: Könnte vielleicht auch drunter klappen. Es waren einfach bloß diese 67 Sekunden mehr. Waren die beim Sonnencreme-Einschmieren im Wechselzelt geblieben? Oder beim letzten Getränkestand beim Laufen? Dabei war das damals ein gutes Rennen, ohne jegliche Schwierigkeiten, Pannen oder Einbrüche. Das zu steigern würde alles andere als ein Selbstläufer werden. Außerdem: Nochmal rund 500 Euro Startgeld.
Vielleicht lag es auch am anstehenden 50. Geburtstag am Tag vor dem Rennen, dass ich's tatsächlich versucht habe. Nochmal was raushauen als nun endgültig alter Sack. Und das ganze mal entspannter erleben als 2015, als ich die Nacht vorher null schlafen konnte und noch aufgeregter war als sonst. Und das mit dem Geld regelte sich, weil die taz, mein Arbeitgeber, eine Selbsterfahrungsreportage drucken wollte und dafür eine Gratis-Startplatz bekam.
Um es kurz zu machen: Es hat geklappt. Dabei schien beim Schwimmstart schon alles vorbei, wegen einer Kleinigkeit. Da trainiert man so viele Stunden – okay, macht ja auch Spaß - bekommt von Detlef Spieker in bester Weltraumjogger-Solidarität ein tolles Rad geliehen, nervt die Familie mit seiner Aufgeregtheit, geht das Rennen im Kopf zig Mal durch – nur um Sekunden vor dem Startschuss zu spüren, dass der Zeitnahme-Transponder am Fußgelenk rutscht. Transponder weg, Zeit weg, Rennen weg?
Also geschätzte zehn Mal auf diesen 3,8 Kilometern an den Knöcheln gegriffen, weitgehend auf Beinschlag verzichtet (wobei Laura zurecht anmerken könnte: „Machst Du doch eh kaum!“) und das Schwimmen, das ja im Kanal bei prima Orientierung und ohne Gerangel richtiggehend meditativ sein kann, etwas angespannt hinter mich gebracht. Und leider fünf Minuten langsamer als erhofft. Als nix aufgeholt gegenüber 2015, sondern tief ins Minus gerutscht. Glücklicherweise dringt bei mir doch der Gedanke durch, dass das jetzt Killefitt ist, mit etwas Pech alles hätte vorbei sein und ich vor Glück sagen kann, dass ich trotz meiner Nachlässigkeit noch dabei sein kann.
Radeln, meine Panikdisziplin, sonst immer von Angst vor Pannen oder ungerechtfertigten Zeitstrafen geprägt – das war schon krass 2015, wenn sich eine ganze Gruppe am Anstieg abmüht, das da kein Wind irgendwelchen Schatten werfen konnte und doch ein Kampfrichtermotorrad parallel nebenher fährt und die ganze Zeit vermittelt, gleich jemanden anpfeifen zu wollen. Es gibt zwar Ersatzlaufräder, wenn zufällig gerade ein Mechaniker-Quad vorbei kommt, aber nur 28-er – und ich habe ein 26-er Modell. Aber bei Detlefs Rad weiß ich, dass sich die Mäntel einfach runter ziehen lassen, Pumpe und zwei (!) Ersatzschläuche habe ich dabei. Lieber weniger windschnittig und dafür die Sicherheit im Kopf, mit einer Panne schnell fertig zu werden. Nils Frommhold zieht nicht weit vor dem Solarer Berg auf seiner zweiten Radrunde an mir vorbei, der Mann, der bei unserer Charity-Staffel beim Berlinman vergangenen Herbst noch dabei war und zum Laufen an Samy übergab. Wenig später wird er stürzen, wie ich nach dem Rennen höre, und mit gebrochenem Lenker nicht weiter fahren können. Nicht nur deshalb werde ich dankbar sein sein, dass mir so was erspart bleibt - ein Engländer erzählt mir, dass er unverschuldet mit doppeltem Rippenbruch ausschied, weil ein anderer weg gerutscht war und ihn mitgerissen hatte.
Davon weiß ich glücklicherweise beim Radfahren nichts, und weil auch die sehr dunklen Wolken sich verziehen, die bei mir schon Angst vor den Serpentinen-Abfahrten auf nasser Straße auslösen, macht die Sache durchweg Spaß. Plötzlich ist da auch schon die Wechselzone, ich beherzige endlich mal, dass das keine Erholungszone ist, sondern die Zeit weiter tickt, und nach wenig mehr als zwei Minuten bin ich da auch schon wieder raus. Wie schon mal bringe ich dann meinen Spruch „Gut, dass wir jetzt noch ein bisschen auslaufen dürfen“ und weg bin ich. Das Radfahren war – für meine Verhältnisse - gut, so gut wie noch nie bei mir. Wenn ich so laufe wie vergangenes Mal, schaffe ich das mit den unter elf Stunden. Bloß: Damals bin ich da auch nicht gerade gejoggt. Also alles oder nix, und so sind die ersten 20 Kilometer auch in rund 1:40 Stunden geschafft, zu schnell, aber es lief halt gerade. Dann aber wird es hart, und das hat viel mit dem neuen Laufkurs in Roth zu tun. Vielen war die bisherige (Weltrekord-)Strecke am Kanal entlang zu dröge, mit zu wenig Zuschauern. Durch die Innenstadt geht es nun vier Mal auf einer 10-km-Wendepunkt-Strecke und in einen Nachbarort. Gut, da würde es ein bisschen rauf gehen, hatten die Organisatoren von Challenge Roth das beschrieben, aber im Grunde nicht mehr als bisher zu zwei Kanalbrücken. Ähem, in Wirklichkeit sieht das ein bisschen anders aus, und das sehe nicht nur ich als alter Mann so, sondern das erzählt mir später im Bus, der mich zum Schwimmstart zurückbringen, auch ein Endzwanziger, der weit unter neun Stunden Ziel kommt.
Aber ist ja nicht zu ändern, also ein bisschen mit Köppchen laufen. Die Wade zwickt nämlich, jetzt überzocken und dann ist er da der Muskelfaserrriss. Also lieber am Anstieg hundert Meter gehen, nichts riskieren, dann weiter laufen. Gute Strategie, wie sich zeigen wird: zwei Kilometer vor dem Ziel habe ich noch genug Puffer, um zu entspannen, den Einlauf in dieses wunderschöne kleine Stahlrohrstadion auf rotem Teppich richtig genießen zu können, zu jubeln und zu wissen: Es klappt unter elf Stunden, 10:51 sind es schließlich. Guido Kleemann ist schon länger da mit seinen 10:17, Martin Schmidt wird auch bald mit 11:16 reinkommen, auch sie beide klar schneller als bei ihren früher Starts.
Rechnung beglichen, Tschüss Langdistanz - Mitteltri ist auch schön und stresst weniger!